Corona und unsere Seele

Mit „Corona-Burnout“ bezeichnen wir die persönlichen und seelischen Krisen, die durch Stress, Angst und individuelle Überforderung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie entstehen. „Corona-Burnout“ kann letztlich unbeachtet und unbehandelt zu seelischen Erkrankungen wie Angststörungen, Depressionen, Suchterkrankungen, pathologischem Essverhalten oder psychosomatischen Erkrankungen mit schwerwiegenden Folgen bis hin zu Gewaltausbrüchen, Selbstverletzungen oder gar Selbsttötungen führen. Insbesondere Verschlechterungen oder Rückfälle bei bereits bestehenden psychischen Störungen sind zu erwarten.

Burnout-Prozesse haben weltweit zugenommen. Unter den Corona-Entwicklungen befinden wir uns bereits in einem weltweiten „Corona-Burnout-Prozess“.

In den letzten 10 Jahren sind die seelischen und sozialen Folgen psychosozialer Belastungen weltweit sichtbar geworden. In Deutschland entwickeln etwa 20 – 30 % der Bevölkerung innerhalb eines Jahres eine psychische Störung. Bis zu 20 % aller Krankheitstage gehen auf psychische Erkrankungen zurück. Etwa 50 % aller vorzeitigen Berentungen entstammen einer psychischen Diagnosegruppe. Eine Entwicklung, die letzten Endes in eine psychische Störung münden kann, ist der sogenannte „Burnout-Prozess“.

Burnout zeigt sich in zunehmender emotionaler Erschöpfung, einer Entfremdung gegenüber sich selbst und anderen Menschen und einer Unzufriedenheit mit der eigenen Leistung, trotz übermäßiger Anstrengung und Anspannung. Burnout ist eigentlich eine Entwicklung, die auf eine langandauernde und überforderte Stressverarbeitung zurückzuführen ist. Nach einer Phase der Überaktivität, mit den Versuchen, sich selbst etwas zu beweisen oder die Erwartungen anderer zu erfüllen, reduziert sich zunehmend das Engagement. Die Einstellungen zur Arbeit, den anderen Menschen und zu sich selbst werden negativ und die eigene Leistungsfähigkeit baut ab. Nach einer weiteren Phase von Gereiztheit, Konzentrationsschwierigkeiten und Kompensationsversuchen durch übermäßiges Essen, Alkohol, Sexualität und soziale Medien, geschieht dann ein seelischer Einbruch, meist in Form einer depressiven Erkrankung, aber auch als Angststörung, Sucht-entwicklung oder psychosomatische Erkrankung. Hintergrund ist immer eine dauerhafte Anspannung, also eine chronische Stresssituation, wenn es ein Ungleichgewicht zwischen den äußeren Anforderungen auf der einen Seite und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten gibt oder ein Ungleichgewicht zwischen dem persönlichen Einsatz und der dafür erhaltenen Anerkennung oder ein Spannungsfeld zwischen den eigenen Werten und denen, unter denen man leben und arbeiten muss. Gerade diese Ungleichgewichte und Spannungsfelder prägen unser Leben unter Corona-Bedingungen in noch stärkerem Ausmaß.

Corona-Angst

Ein grundlegendes Gefühl während der COVID-19-Pandemie ist die Angst. Die Menschen haben weltweit Angst, sich zu infizieren, andere anzustecken, krank zu werden, sogar schwer zu erkranken, zu leiden und zu sterben. Wir haben darüber hinaus Angst, dass Menschen, die uns nahestehen, schwer erkranken und leiden oder gar sterben könnten und wir sie verlieren. Angst ruft in der Regel instinktive Abwehr hervor. Abwehr kann bedeuten, sich zu schützen, z. B. durch Hygiene, Abstand oder Impfung. Sie kann bedeuten, gegen das Virus zu kämpfen, z. B. durch Medikamente, oder auch starr zu werden und zu hoffen, dass die Bedrohung vorübergeht. Angst ist eigentlich ein Signalgefühl, das uns sagt: „Pass auf!“ Aber wenn die Bedrohung so diffus ist, dass wir sie kaum erkennen können, weil das Virus so klein ist und sich so schwer verhinderbar verbreitet, besteht die Gefahr, dass die Angst sich immer weiter steigert, wenn sie permanent gefüttert wird.

Diffuse Angst ist sehr viel schwerer handhabbar als die konkrete Angst vor einer klar definierten und sichtbaren Bedrohung. Und so schleicht sich die Angst in unsere unbewussten Schichten, unsere Themen und all das Unverarbeitete unserer Vergangenheit, das mit Ängsten verbunden ist. Sie triggert dann bedrohliche oder traumatische Erlebnisse und lässt uns die Realität in anderem Licht erfahren. Angst aktiviert uns zunächst, aber wenn wir nicht in der Lage sind, ihr ins Auge zu sehen und sie auf ein realistisches Maß zu begrenzen, wird sie zum unterschwelligen oder ganz offensichtlichen Stress. Sie engt uns ein, engt unseren Fokus auf immer das gleiche Thema, wie eine Spirale, die durch immer mehr Bedrohungsszenarien oder angsterfüllte Informationen unsere Kapazitäten, dies auszuhalten, und unsere Bewältigungsfähigkeiten überfordert. Auch die Angst vor einer Impfung besitzt eine reale Bedeutung, kann aber auch durch tieferliegende Ängste vor körperlicher Verletzung oder körperlichem Missbrauch aktiviert werden. Insgesamt werden häufig Trauma-Erfahrungen mobilisiert und müssen womöglich erneut bearbeitet werden. Zu beachten ist auch die seelische Belastung einer durchgemachten COVID-Erkrankung, also die damit verbundenen Ängste, die Erschöpfungs-Symptomatik, die möglichen traumatischen Erfahrungen einer ggf. erfolgten Beatmung, die Einschränkung sozialer haltgebender Beziehungen im Krankenhaus u. Ä.

Gleichzeitig mussten und müssen wir weltweit mit den medizinischen Folgen und den ergriffenen Maßnahmen umgehen. Individuell bedeutet dies, eine zu den üblichen Anforderungen des gesellschaftlichen Alltags neue und zusätzliche Belastungsdimension. Jeder Einzelne muss im täglichen Leben eine Vielzahl von Regeln einhalten, die er teilweise sinnvoll findet, teilweise ablehnt, die er teilweise versteht und teilweise nicht versteht, Regeln, die sich auch binnen weniger Wochen oder gar Tagen wieder verändern und auf die er sich neu einstellen muss. Hier ist eine hohe Aufmerksamkeit gefordert, insbesondere in zwischenmenschlichen Situationen. Die ständige Anspannung läuft glücklicherweise meist nur halbbewusst ab, wird aber immer wieder aktiviert, wenn andere Menschen mir möglicherweise zu nahe kommen oder wenn die Organe der Staatsgewalt sichtbar auftreten, mit Bußgeldern drohen oder zur Meldung von Regelverstößen auffordern.

Dabei sind vor allem Menschen in komplexen Lebens- oder Arbeitssituationen stark betroffen. Ganz besonders sind das natürlich Menschen in Gesundheitsberufen, die alltäglich in Kontakt kommen können mit infizierten Personen und bei denen dann alle latenten Angst-Abwehr-Mechanismen und alle Aufmerksamkeits-Anspannungs-Dynamiken wiederholt oder gar ständig aktiviert werden. Aber auch andere Berufsgruppen, die mit komplexen größeren sozialen Situationen zu tun haben, wie Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen und Lehrer, Mitarbeiter in Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Hotels, Restaurants und bei der Organisation von Veranstaltungen jeglicher Art sind eben nicht nur fachlich und kognitiv, sondern auch und vielleicht noch viel bedeutsamer emotional herausgefordert. Und gerade hier gibt es durch die beruflichen Situationen vielfältige Auslöser zur seelischen Dekompensation.

Auch existenzielle Ängste durch Arbeitsplatzverlust, Auftragseinbrüche, finanzielle Sorgen o. Ä. müssen gehandhabt werden. Das Gefühl, den äußeren Anforderungen nicht gewachsen zu sein, zu scheitern, seine Aufgaben nicht zu erfüllen, kann zu Selbstzweifeln, Resignation oder der Aktivierung gestörter Kindheitsmuster führen.

Wie lange und in welcher Weise kann dies ausgehalten werden? Burnout-Symptome zeigen sich oft nach etwa einem halben Jahr andauerndem, mit Stress verbundenem innerem Ungleichgewicht und unzureichenden oder mangelnden Gegenmaßnahmen. Da die Ängste und inneren Spannungszustände durch die COVID-19-Pandemie und die dagegen ergriffenen Maßnahmen nun schon viel länger anhalten, geraten wir zunehmend in die Gefahr der Entwicklung von coronabedingten Burnout-Prozessen.

Fazit

Wir finden angesichts der seelischen und sozialen Überforderung vieler Menschen in der Corona-Pandemie:

Corona-Burnout-Prozesse

Coronabedingte Erschöpfungszustände

Corona-Angst

Corona-Depressionen

Corona-Traumafolgestörungen

Corona-Suizide

Coronabedingtes Übergewicht und Suchtverhalten

Coronabedingte digitale psychische Störungen

Coronabedingte Vereinsamung

Coronabedingte Gewalt

Dr. Joachim Galuska

www.joachim-galuska.de

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