Sven Steffes-Holländer, Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin, ist ein Experte in puncto Selbstfürsorge. Im nachfolgenden Interview spricht er über praxisrelevante Aspekte.
Warum ist Selbstfürsorge im Beruf, vor allem auch in der Tätigkeit als Lehrer, so bedeutend?
Viele Lehrkräfte stehen unter einer außergewöhnlich hohen Belastung und Druck – der nicht nur von den Schülern verursacht wird, die sie unterrichten, sondern auch von deren Eltern, der Schule und Behörden, die ihre Intentionen manchmal missverstehen können. Sogar die Institutionen, die Lehrer und deren Arbeit eigentlich unterstützen sollten, erschweren die Dinge zeitweise mehr als nötig. Dies kann zu Burnout, Stress und Desillusionierung führen: Fast alle, die im pädagogischen Bereich arbeiten, fühlen sich zuweilen angestrengt bis hin zu völlig ausgelaugt. Allzu oft werden Spaß und Freude an der Lehrertätigkeit nicht gesehen, heruntergespielt oder nicht wertgeschätzt, weil immer wieder auch belastende Ereignisse auftreten. Das ist schade, denn im Grunde gibt es kaum einen Beruf, der so befriedigend, erfüllend und anregend sein kann wie der des Lehrers: Es ist trotz aller Härten und Herausforderungen eine Ehre und ein Privileg.
Selbstfürsorge versus Egoismus – an was machen Sie den Unterschied fest?
Selbstfürsorgliche Menschen akzeptieren sich selbst – mit all ihren Macken und Fehlern. Deshalb fällt es ihnen leichter, sich in andere hineinzuversetzen und deren Makel zu tolerieren. Sie leben rücksichtsvoll sich selbst und ihrem Umfeld gegenüber. So wie sie um ihre Macken wissen, kennen sie natürlich auch ihre Stärken – und nutzen diese gern, um anderen Menschen zu helfen. Egoisten sind oft fast unfähig zur Empathie, da sie ständig nur auf sich selbst achten. Rücksicht kennen sie nur in einem Sinne: sich selbst den Rücken freihalten. Ob das auf Kosten anderer geht, ist ihnen egal. Deshalb nutzen sie andere Menschen gern aus, wenn für sie selbst daraus Vorteile entstehen.
In einer Schule mit z. B. 70 Lehrerkollegen, wie kann dort Selbstfürsorge implementiert werden?
Was aus meiner Erfahrung in Schulen häufig fehlt, sind Supervisionsangebote. Bei Ärzten ist der strukturierte Austausch über Belastungen des Berufs in Form von Balintgruppen häufig etabliert. In Schulen sind Lehrer dabei meist auf sich alleine gestellt. Auch gemeinsame sportliche Aktivitäten, das Angebot von Entspannungstechniken für Lehrer können erste Schritte sein.
Welche Rolle hat der Schulleiter, wenn es um die Selbstfürsorge seiner Mitarbeiter geht?
Der Schulleiter spielt dabei eine zentrale Rolle und hat auch arbeitsrechtlich betrachtet sogar eine Fürsorgepflicht. Er kann maßgeblich dazu beitragen, Präventionsangebote in den Schulen zu implementieren und mögliche Fehlentwicklungen bei Kollegen frühzeitig konfrontieren. Lernen am Modell spielt auch hier eine Rolle: Er kann als Rollenmodell für selbstfürsorgliches Verhalten dienen.
Wie kann man als Lehrer seinen Schülern Selbstfürsorge vermitteln?
Wichtig finde ich, eine Sensibilität für das Thema zu fördern. Gesundheitsförderung und Prävention spielen in den Lehrplänen eine eher untergeordnete Rolle. Oft bleibt es in der Verantwortung des Klassenlehrers, entsprechende Impulse zu setzen. Das Phänomen des „Schüler-Burnouts“ verbreitet sich erschreckenderweise, diesem gilt es gezielt entgegenzuwirken.
Was machen Sie persönlich als Chefarzt für Ihre Selbstfürsorge?
In meiner psychotherapeutischen Arbeit gilt es oft, Empathie für andere zu haben, andere beim Erspüren ihrer Bedürfnisse zu unterstützen. Um dies leisten zu können, ist es wichtig, mir immer wieder auch eigene Kraftquellen und Ressourcen zugänglich zu machen. Berlin hat ein reiches Kulturleben, das ich intensiv nutze. Mein Akku lädt sich bei Konzerten, Theaterbesuchen oder einfach nur gemeinsamen Abenden mit Familie und Freunden. Auch ein körperlicher Ausgleich ist für mich extrem wichtig, um den Kopf frei zu bekommen.
Werden in den Heiligenfeld Kliniken die Patienten zum Thema „Selbstfürsorge“ geschult?
In unserer Behandlung ist Selbstfürsorge ein sehr zentrales Thema, das in unterschiedlichen Therapien Berücksichtigung findet. Wir behandeln häufig Patienten, deren zentrale Grundbedürfnisse nach Anerkennung und Aufmerksamkeit in ihrer Biographie frustriert wurden. Wir fördern durch verbale und nonverbale Therapien das Erspüren dieser zentralen Bedürfnisse, einhergehend mit einer Analyse der Beziehungsmotive des Klienten. Selbstfürsorge ist ein durchgängiges Element all unserer Therapien. Manche Patienten vermeiden regelrecht, sich selbst zu lieben und für sich selbst zu sorgen. Diese Ängste können wir ihnen oft nehmen und damit die Tür für ein Mehr an Selbstfürsorge öffnen.
Weitere Informationen zum Behandlungskonzept für Lehrkräfte in den Heiligenfeld Kliniken finden Sie hier.
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