Die 44-jährige Lehrerin Andrea Falke ist verheiratet und hat vier Kinder. Neben ihrer Familie und dem Beruf pflegt sie ihre an Demenz erkrankte Mutter. Irgendwann bricht sie zusammen, ist ausgebrannt, es geht nicht mehr weiter. Sie entscheidet sich für eine stationäre Therapie in der Parkklinik Heiligenfeld in Bad Kissingen.
Während ihrem Aufenthalt in der Klinik haben wir Andrea Falke zu einem Interview getroffen und mit ihr über die Krankheit, ihre Hoffnungen und Ängste gesprochen.
Frau Falke, mit welcher Diagnose sind Sie in die Klinik gekommen?
Ich bin mit der Diagnose mittelschwere Depression und Burnout in die Klinik gekommen.
Wie kam es dazu?
Ich habe über Jahre über meine Kräfte gearbeitet bzw. einen Lebensstil geführt, der schon am obersten Level lag. Ich bin verheiratet, habe vier Kinder und arbeite als Lehrerin. Auch in der Schule habe ich viele Aufgaben übernommen. Wenn jemand für irgendwas gesucht wurde, eine hat sich immer gemeldet – im Zweifel war ich das. Ich habe insgesamt, schon immer auf einem sehr hohen Arbeitsniveau gelebt. Im vergangenen Sommer ist mein Vater gestorben, meine Mutter ist dement und damit kamen zusätzlich (emotionale) Belastungen und Aufgaben auf mich zu. Auch hier habe ich mich wieder verantwortlich gefühlt. Hinzukommt, dass meine Kinder teilweise recht “erziehungsintensiv” sind. Es kam zu Vorfällen, die Ordnungsmaßnahmen wie Erziehungsmaßnahmekonferenzen u. ä. zur Folge hatten. Das hat mich stark belastet. Ich habe immer gedacht, ich kriege das alles gut bewältigt und strukturiert, indem ich mich entsprechend organisiere…weiter, weiter, weiter….Meine Freizeit bestand daraus, meine Mutter zu betreuen und zu besuchen und Wäsche zu falten. Hin und wieder mal laufen gehen. Aber im Grunde haben die Phasen der Entspannung gar nicht mehr gereicht, um den Rest aufzufangen.
Sie sind also typisch ausgebrannt?
Ja, genau. Wobei ich das selbst gar nicht so gemerkt habe. Ich hatte das Gefühl, ich habe alles im Griff. Mein Mann sagte, du kannst die Welt nicht retten. Lass uns doch mal etwas anderes machen. Ich habe zugestimmt und gesagt, aber erst muss ich noch das, das und das machen. Irgendwann war ich so in dem Hamsterrad drin, dass ich selbst keine Chance mehr hatte, da alleine rauszukommen. Zu der Zeit standen in der Schule die Empfehlungen für Viertklässler an. Ich habe für alles viel länger gebraucht, weil die Konzentration nicht mehr so da war, ich war viel weniger effizient. Ich habe gemerkt, es stimmt was nicht, aber ich konnte nicht darauf reagieren und erhebliche Konzentrationsprobleme. Ich habe auch in der Schule gemerkt, es stimmt was nicht, u. a. hatte ich Wortfindungsstörungen. Ich habe von Schülern, Dinge wiederholen lassen, die andere Schüler gesagt haben, weil ich sie sofort wieder vergessen hatte. Ich habe Strategien entwickelt, um mein mangelndes Leistungsvermögen zu kompensieren.
An welchem Punkt haben Sie gemerkt, da stimmt was nicht? Gab es diesen Punkt überhaupt oder hat das jemand anderes gesehen?
Ich bin auf dem Sofa zusammengeklappt und habe nur noch geheult. Das war an einem Wochenende zur Zeugniszeit. Ich habe samstags noch gearbeitet und auch am Sonntagmorgen. Am Schreibtisch ging das auch. Da war ich ganz klar. Aber wenn ich aufgestanden bin, zeigte sich die ganze Symptomatik, von der ich jetzt weiß, dass sie typisch für einen Burnout ist. An dem Samstag hatte ich das Gefühl, ich kann nicht mehr. Am Sonntag ging dann gar nichts mehr.
Was genau waren die Symptome?
Übelkeit, teilweise Durchfall, zum Schluss Schlaflosigkeit, Gedankenrasen, ich hatte über Monate immer wieder Kopfschmerzen, Antriebslosigkeit, totale körperliche Erschöpfung. Früher bin ich immer supergerne in die Schule gegangen. Das hatte sich schon vor Monaten geändert. Das meiste war nur noch anstrengend und belastend. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich hatte Ohrgeräusche, Wortfindungsstörungen, Konzentrationsstörungen, massive Kreislaufprobleme. Also die ganze Palette.
Wie ging es nach dem Zusammenbruch weiter?
Ich hatte mich irgendwann durchgerungen, meinen Bruder anzurufen, weil ich keinen Ausweg mehr wusste. Meine Familie stand hilflos da. Mit meinem Bruder hatte ich schon ein, zwei Wochen zuvor gesprochen und ihm gesagt, dass es mir nicht gutgeht. Ich denke, das waren die ersten Hilferufe “Rettet mich”. Aber das tut dann halt keiner. Das muss man schon selbst tun. Und dann war die Frau meines Bruder, eine Ärztin, am Telefon. Sie sagte mir, dass sie in ihrer Praxis viele Menschen mit meinen Symptomen habe und fragte mich, ob ich nicht am nächsten Tag zu ihr in die Praxis kommen möchte. Das war für mich wie ein Rettungsanker. Ich habe aber noch gefragt: Meinst du, ich kann morgen in die Schule gehen? Ich war also noch nicht so weit, zu sagen, ich bin so am Ende, dass ich nicht mehr kann. Ich wäre gegangen, zumal ich erst für abends den Arzttermin hatte. Mein Pflichtbewusstsein, mein Verantwortungsbewusstsein hat mich immer weiter getrieben. Ich hatte ja keinen Beinbruch, ich hatte nichts greifbares. Es wurde dann sehr schnell klar, dass eine Klinik der Ort sein würde, an dem ich mich erholen und die Chance bekommen würde, wieder zu mir zu kommen.
Was war die Grund, dass ihre Entscheidung auf die Parkklinik Heiligenfeld fiel?
Die Ärztin hatte mir mehrere Kliniken genannt. Dann habe ich mich im Internet nach diesen erkundigt und mich dann sehr schnell für Heiligenfeld entschieden. Ich war der Meinung, dass diese Klinik für mich passt.
Wie haben Sie die vergangenen Wochen hier in der Parkklinik Heiligenfeld erlebt? Wo stehen Sie jetzt?
Ich denke, dass diese Zeit für mich mit die wertvollste meines Lebens sein wird. Ich bin jetzt 44 Jahre alt und habe daher auch schon einiges erlebt. Ich bin bei meiner Ankunft in der Parkklinik direkt in die Intensivwoche “reingefallen”. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, ich bin nicht mehr da. Es war alles tot, es war alles leer. In den Rollen Mutter, Lehrerin habe ich noch sehr lange funktioniert. Aber von mir war nichts mehr übrig. Ich bin hier auf die Suche nach mir selbst gegangen und habe gemerkt, dass ich über den Kopf nicht zu mir finde – was durch die Intensivwoche sicherlich beschleunigt wurde. Über die Kreativangebote – bei mir sind es vor allem das Tanzen und das Malen – und über andere Therapieformen, die Art von Therapie, die sehr aufdeckend sind und nicht über den Kopf gehen, habe ich mich ein gutes Stück wieder gefunden. Aber auch über die Indikationsgruppen, in denen man sich mit seinen Themen beschäftigt, bei mir waren es die Depression und später auch das Trauma, und die Kerngruppe, in der man lernt, über sich selbst, aber auch über andere zu sprechen, all das hat mir geholfen, (wieder) zu mir selbst zu finden. Was für mich auch wichtig war, war die Gemeinschaft. Wobei ich das in den ersten drei bis vier Wochen gar nicht so wahrgenommen habe. Aber ich wurde hier angenommen, wie ich bin und ich hatte Zeit, zu wachsen.
Wie haben Sie den Gemeinschafts- und Gruppenaspekt, der in Heiligenfeld eine entscheidende Rolle spielt, erlebt? Wie haben Sie das empfunden?
Am Anfang war so viel Gruppe abschreckend für mich, weil ich so klein, dunkel, depressiv und am liebsten nur mit mir zusammen war. Wobei ich sehr unglücklich war. Der Patient wird hier ganz langsam in die Gemeinschaft aufgenommen. Es gibt ja verschiedene Gruppen, die Kerngruppe, das Plenum, zu der die Personen aus der Abteilung zusammen kommen, das Forum, wo dann alle dabei sind – und so öffnet sich dann langsam der Horizont. Man bekommt ganz viel von den anderen gespiegelt und erhält Verständnis. Ich habe mich hier dann auch nicht mehr komisch gefühlt. Zuhause war ich die, die aus dem Rahmen fiel. Und hier war ich genauso normal wie alle anderen und durfte so sein, wie ich war/bin. Das hilft beim Sich-Öffnen. In der Kerngruppe, hier hat man dreimal die Woche 100 Minuten Gruppentherapie, in der es nicht immer um einen selbst geht, habe ich im Therapieprozess gemerkt, wie ich mich besser öffnen konnte – sowohl für meine Themen als auch für die Themen der anderen. Dadurch habe ich zu einer anderen Offenheit gefunden.
Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft? Was haben Sie sich vorgenommen? Was werden Sie ändern? Haben Sie Angst?
Bevor ich richtig krank wurde, stand die Schule ganz oben. Dann kam die Familie und irgendwo unter dem Tisch war ich, also ganz unten. Ich möchte in meinem neuen Leben, wenn ich wieder zuhause bin, dass ich an erster Stelle stehe. Denn nur, wenn es mir gutgeht, kann ich dazu beitragen, dass es anderen gutgeht. Der Dreiklang ist: Ich – Familie – Schule. Schule steht also irgendwo unten, hat nicht mehr den Platz in meinem Leben wie früher. Sie ist mir wichtig und ich will auch auf jeden Fall wieder in meinen Beruf zurückkehren, aber sie soll nicht mehr das Wichtigste sein. Ich möchte wieder Freizeit haben, ich möchte wieder Dinge für mich tun. Ich hoffe, dass ich das für mich schaffe. Dass ich ich sein kann, mir erlaube, Dinge zu tun. Ich möchte natürlich weiterhin für meine Familie da sein. Ich denke, ich bin jemand, der sehr gut aufpassen muss, dass er nicht in alte Muster zurückfällt und deshalb wünsche ich mir, dass ich die Zeit bekomme, um mich wieder einzugliedern. Erst in die Familie, und dann – ich weiß noch nicht genau wann – auch wieder in die Schule. Grundsätzlich die Zeit bekomme, mich und meine neuen Wege auszuprobieren.
Wie geht Ihre Familie mit dieser Situation, mit diesem Veränderungsprozess um?
Meine Familie war einmal hier. Am Anfang wollte ich gar nicht, dass sie hierher zu Besuch kommt, weil Heiligenfeld meins war. Als dann klar wurde, dass der Aufenthalt länger werden würde, hatte ich das Bedürfnis, meiner Familie Heiligenfeld zu zeigen. Zu zeigen, wo ich bin und mit wem ich hier zusammen bin. Ich denke, vor allem für meine jüngste Tochter war es wichtig, zu wissen, wo die Mama ist. Wir hatten zwei sehr schöne Tage und die Kinder haben festgestellt, dass hier ganz viele tolle die Menschen sind. Hier sind ganz prime Leute, die – wie und warum auch immer – in eine Lebenskrise gekommen sind. Es ist fröhlich, es wird gelacht, es wird auch geweint, aber man macht das gemeinsam. Ich denke, dass sich die Kinder und mein Mann freuen, wenn ich wieder nach Hause komme. Bei meinem Mann spüre ich jetzt eine Offenheit, Dinge zu verändern und auch das tut mir gut.
Ich kann jedem empfehlen, in die Klinik zu gehen. Gerade dann, wenn man Kinder hat. Kinder haben mehr davon, wenn man ein paar Wochen weg ist und dann einigermaßen zusammengesetzt wieder nach Hause kommt. Man ist zwar noch nicht fertig, aber es haben sich Teile gefügt.
Herzlichen Dank für das Gespräch und alles erdenklich Gute für die Zukunft!
Das Interview führte Marina Prieb
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