MBSR – Urlaub für die gestresste Seele

Stress ist für viele Menschen, die Erfahrungen mit Burnout oder Depression haben, ein wohlbekannter Begleiter. Für manche ist er der Grund, weshalb sie überhaupt in eine psychische Erkrankung hineingeraten sind. Stress zu vermeiden hat also Priorität, wenn es darum geht Burnout und seine Folgeerkrankungen vorzubeugen oder zu behandeln. Eine bewährte Methodik dafür ist MBSR. Iris Vollert leitet das Marketing der Heiligenfeld Kliniken und lässt sich neben dem Beruf gerade zur MBSR-Lehrenden ausbilden. Im Interview erklärt sie, was hinter dem Kürzel steckt und wie es den Umgang mit Stress völlig verändern kann.

 

HeiligenfeldBLOG: “MBSR” steht für “Mindfulness Based Stress Reduction”. Stress und “Mindfulness” … schließt sich das nicht irgendwie gegenseitig aus?

Iris Vollert: Die verbreitete Übersetzung von MBSR heißt „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“. Somit schließt sich das nicht gegenseitig aus, sondern man kann es eher als einen Ursache-Wirkungszusammenhang verstehen: „Wenn ich mich in Achtsamkeit übe, dann kann ich besser mit Stress umgehen, dann fühle ich mich weniger gestresst.“ Achtsamkeit steht im Zusammenhang mit dem Ausbalancieren von Emotionen und Gedanken. Und diese Balance führt zu einer Reduktion von Stress. So beschreibt das auch Jon Kabat-Zinn, der Begründer von MBSR. Er lehrt Stressbewältigung durch Achtsamkeit seit 35 Jahren. Achtsamkeit heißt, im gegenwärtigen Moment zu sein, und sich dadurch in Gelassenheit und Geduld zu üben. Mir gefällt auch folgende Definition von MBSR: „Sein Herz zu öffnen, sich zu begegnen, nicht gegen die Dinge, die wir nicht lieben, anzukämpfen, sondern sie anzunehmen, wie es eben in diesem Moment ist.“ Man kann diese Definitionen besser verstehen, wenn man MBSR praktiziert und die Auswirkungen dieser Praxis am eigenen Leib spürt. Ich übe mich durch verschiedene Methoden in Achtsamkeit, z. B. durch Meditation, und das schon seit ca. 20 Jahren. Und ich glaube, dass ich ein sehr widerstandsfähiger Mensch bin, was zu einem großen Teil auf die Achtsamkeitspraxis zurückzuführen ist. Sich selbst besser kennenzulernen und zu beobachten, führt zu einer ganz anderen Art, die Dinge zu sehen, nämlich gelassener bestimmten Situationen gegenüber zu sein, oder vieles nicht problematisch zu sehen. So bin ich weniger stressanfällig für bestimmte Situationen.

 

HeiligenfeldBLOG: Warum gerade MBSR? Bei welcher Art von Stress kann diese Methode deiner Meinung nach besonders gut helfen?

Iris Vollert: MBSR kennt unterschiedliche Trainingsmethoden in der Praxis. Meditation ist nur eine davon. Da gibt es z. B. den Body-Scan und Yoga. Bei welcher Art von Stress welche Methode hilft, hängt meiner Meinung nach von den persönlichen Vorlieben ab. Manche üben sich eher in Yoga, andere wiederum in Meditation, andere bevorzugen den Body-Scan. Ich bevorzuge eine Kombination, je nach Lust und Laune. An manchen Tagen möchte ich lieber in die Stille gehen, und an anderen Tagen braucht es sanfte Bewegungen, oder beides. Ich denke, dass viele Wege zur Stressreduktion führen; wichtig ist dabei, die Dinge achtsam, langsam zu tun und sich mit den Gedanken nur auf die eine Sache zu konzentrieren. Wenn ich spüre, dass ich in Stress gerate – wodurch auch immer – tut es mir gut in die Stille zu gehen, mich auf meinen Atem zu konzentrieren und somit meinen Geist zu beruhigen; mich darin zu üben, meinen Geist nicht mit Ablenkungen “anzufüttern”, mir keine Gedanken zu machen.

 

HeiligenfeldBLOG: Glaubst du, dass MBSR alltagstauglich und für jeden erlernbar ist? Benötigt man Vorkenntnisse, z. B. in der Meditation?

Iris Vollert: Ich halte MBSR für absolut alltagstauglich und ich denke, dass jeder die verschieden Methoden des MBSR lernen kann. Sie sind einfach zu verstehen, und man muss sie einfach ausprobieren. Es gibt viele praktische Anleitungen zu den unterschiedlichen Übungen. Es wäre gut, verschiedene Methoden auszuprobieren und zu schauen, welche einem gut liegt. Sicherlich kann man nicht Wunder erwarten, dass sich von heute auf morgen etwas verändert; aber mit Geduld spürt man Fortschritte. Wichtig ist dabei, sich nicht unter Druck zu setzen, nicht das Ziel zu verfolgen, dass sich nach einer gewissen Zeit irgendetwas einstellen muss. Ich habe gemerkt, dass sich vieles verändert. Aber das ist ein Prozess, so wie wenn man eine Sprache lernt, peu à peu macht man Fortschritte. Ich bin absolut von der Methode überzeugt, zumal ich schon so viele Jahre praktiziere und meine persönlichen positiven Erfahrungen damit gemacht habe. Vorkenntnisse sind nicht unbedingt erforderlich, allerdings erleichtern sie den Einstieg. Es gibt Grundkurse, die Anfängern den Einstieg erleichtern und für Fortgeschrittene die Kenntnisse intensivieren.

 

HeiligenfeldBLOG: Was sind Beispiele für Übungen oder Techniken, die du im Rahmen von MBSR schon erlernt bzw. angewendet hast?

Iris Vollert: Das sind die Sitz- und Gehmeditation, die Metta-, die “liebende Güte”-Meditation, verschiedene Yoga-Übungen, im Stehen und im Liegen, sowie der Body-Scan. Der Body-Scan wird im Liegen praktiziert. Dabei geht es darum, zu erfahren, was gerade in diesem Moment ist. Es geht nicht darum, eine bestimmte Erfahrung herbeizuführen, sondern nur wahrzunehmen, was ist, ohne zu bewerten. Achtsamkeitsübungen können aber auch in den unterschiedlichen Alltagssituationen eingebaut werden, wie. z. B. achtsames Essen oder achtsames Aufstehen, achtsames Zähneputzen usw. Es geht darum, ganz und gar bei einer Sache zu sein.

 

HeiligenfeldBLOG: Wie hat dir persönlich MBSR geholfen? Hast du eine Art “Aha-Moment” erlebt?

Iris Vollert: Mir helfen diese Übungen, um mehr im Hier und Jetzt zu sein, präsenter zu sein, einen klareren Kopf zu haben. Ich setze Achtsamkeit oft bewusst ein, und versuche das auch – gerade in dichten Arbeitsprozessen. Ich versuche dem Menschen, der mir gegenüber ist, meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn jemand mit mir spricht, dann höre ich ihm bewusst zu, ich unterbreche ihn nicht und übe mich darin, mich gedanklich nicht schon auf meine Antwort zu konzentrieren. Ich führe diese Alltags-Praxis auf meine regelmäßige Meditationspraxis zurück. Meditation hat einen hohen Stellenwert in meinem Alltag. Wenn ich Gelegenheit dazu habe, gönne ich mir sogar ein “Retreat”, eine Auszeit für die Seele. Nach einem fünftägigen Schweige-Retreat beispielsweise, wo man einen Großteil des Tages mit Meditation oder Yoga verbringt, fühle ich mich richtig befreit. Als wäre mein ganzer Stress von mir abgefallen und als herrsche nun vollkommene Klarheit. Manchmal kehren durch die Meditation wichtige Dinge zu mir zurück, die im Alltag untergegangen sind. Manchmal gehe ich einfach mit einem Gefühl der Leichtigkeit aus ihr heraus. Oft habe ich den Eindruck, dass meine Sinne nach einer ausgiebigen Meditation geschärft sind. Alles ist auf eine angenehme Weise intensiver. Diese spürbare Veränderung würde ich schon als eine Art AHA-Moment bezeichnen.

 

HeiligenfeldBLOG: Warum passt MBSR deiner Meinung nach gut zur Behandlungsphilosophie in den Heiligenfeld Kliniken?

Iris Vollert: In unserem Behandlungskonzept haben wir viele solche Achtsamkeits-Elemente. Viele Patient*innen kommen zu uns wegen geistiger und körperlicher Erschöpfung, wegen eines Burnout-Syndroms, einer Überforderung durch zu viele Stressoren, die uns in unserem täglichen Tun begegnen. Wir sind oft nicht mehr in der Lage, unsere unterschiedlichen Aufgaben und Belastungen zu überschauen, und das führt uns in die Überforderung.  In den Heiligenfeld Kliniken lernen die Patient*innen auch, achtsamer mit sich und anderen umzugehen. Verschiedene Methoden der MBSR werden angeboten. Wir haben ein tägliches Angebot an verschiedenen Meditationen. Darüber hinaus gibt es „Tage der Stille“ in den Kliniken. An diesen Tagen kann sich jeder durch „Nicht-Sprechen“ ganz auf sich selbst und sein Inneres konzentrieren und sich beobachten. Darüber hinaus haben die Patient*innen die Möglichkeit, ihre Mahlzeiten an so genannten „Stillen Tischen“ einzunehmen,  d. h., wer an einem solchen Tisch Platz nimmt, möchte nicht sprechen und auch nicht von anderen durch Gespräche gestört werden. Viele Patient*innen berichten nach ihrem Aufenthalt, dass sie durch diese Methoden gelernt haben, wieder zu fühlen, wieder bei sich angekommen zu sein und letztlich wieder auf ihr Herz zu hören. Ich finde das wunderbar. Wenn Menschen dadurch wieder zum Wesentlichen in Ihrem Leben gelangen und das Leben wieder lieben.

 

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