Eltern mit einer psychischen Krankheit sind keine Randgruppe. Schätzungsweise werden in Deutschland pro Jahr drei Millionen Kinder mit einer psychischen Erkrankung eines Elternteils konfrontiert. Davon haben 175.000 Kinder ein Elternteil, das in einer psychiatrischen oder psychosomatischen Klinik behandelt wird.
Wichtig ist es zu erkennen, dass hinter dem einen Patienten nicht nur EIN Mensch steht, der leidet und geheilt werden will. Hinter diesem Menschen steht oft auch eine ganze Familie, deren Leben durch die Erkrankung von Mutter oder Vater ins Wanken geriet und häufig professionell wieder unter Kontrolle gebracht werden muss. Was gesunde Eltern fordert, kann kranke eben überfordern. Überforderung führt zu Kontrollverlust über das eigene Leben und in der Folge auch über das der Kinder oder des Kindes. Kinder sind angewiesen auf eine emotional stabile Bezugsperson, auf einen ruhenden Pol, der Sicherheit ausstrahlt. Das erkrankte Elternteil kann diese Aufgabe, die Grundvoraussetzung für eine gesunde Entwicklung des Kindes ist, nicht mehr ausreichend erfüllen. Im manchen Fällen übernimmt das Kind selbst die Aufgaben der Mutter oder des Vaters. Das Elternteil geht in die Rolle des Kindes, wird beschützt und umsorgt. Das Kind übernimmt die Aufgaben des Haushalts und ist für das Elternteil da, wenn es ihm schlecht geht. Eigenes Kindheitserleben wird eingeschränkt. Um diese Einschränkung zu kompensieren, flüchten Kinder oft in fiktive Welten, in denen sie die fehlende feinfühlige Fürsorge von Vertrauenspersonen suchen. Beim Aufwachen aus diesem Traum führt das Realisieren der Wahrheit aber ebenso zur Überforderung. Wo bekommen diese Kinder Unterstützung wenn nicht von der Familie?
Kinder fühlen sich schuldig
Wie verarbeitet ein Kind diese Familiensituation? “War ich denn heute nicht lieb?” – Schuldgefühle sind es, die die meisten Kinder quälen. Sie beziehen die Krankheit des Elternteils auf ihre eigene Person und ihr eigenes Dasein. Durch dieses Gedankengefängnis kann in den Kindern oft kein gesundes Selbstvertrauen entstehen.
Menschen mit Resilienz (Widerstandskraft) meistern die Krisen des Lebens, indem sie den “Weg des Glücks” (Dr. Joachim Galuska) wählen. Diese Widerstandskraft wird auch durch sichere Bindungen in der Familie gefördert. Studien zufolge haben Kinder, die bei einem psychisch kranken Elternteil aufwachsen, ein erhöhtes Risiko selbst eine psychische Krankheit zu entwickeln. Ein Drittel aller stationär psychisch behandelter Kinder haben ebenso ein psychisch krankes Elternteil. Der richtige Umgang mit dem Kind bei Krankheit des Elternteils ist äußerst wichtig für dessen weiteres Leben als Erwachsener. Prävention ist also das Stichwort.
Prävention
Der wichtigste Bestandteil hierbei ist die Kommunikation. Dass die Eltern mit dem Kind über die Krankheit sprechen sollten, ist leichter gesagt als getan. Die betroffenen Eltern sind emotional oft nicht erreichbar, auf die Signale ihrer Kinder reagieren sie häufig inadäquat. Deshalb muss der Impuls einer öffnenden und heilenden Kommunikation oftmals von einer anderen Instanz ausgehen. Dies ist im Idealfall der gesunde zweite Elternteil, der in diesen Zeiten die Führung übernimmt. Wichtig ist, dass die Kinder entlastet werden von möglichen Schuldgefühlen und daraus resultierenden Entlastungsversuchen. Es sollte altersangemessen vermittelt bekommen, dass es nicht dafür verantwortlich ist, dass es Mama oder Papa gerade so schlecht geht, und es eben eine Erkrankung ist, die das macht, dass der betroffene Elternteil gerade nicht so gut für das Kind da sein kann, es jedoch trotzdem noch lieb hat. Hier sollte auch Platz für Trauer sein dürfen. Die betroffene Person sollte jedenfalls soweit Verantwortung für sich als auch für die Familie übernehmen, dass sie sich in Behandlung begibt und alles daran setzt, dass sich die Symptomatik bessert. Und das ist natürlich nicht immer einfach. Um dies alles zu ermöglichen sind Unterstützungsangebote und ggf. auch Begleitungen bei diesen Gesprächen von Helfereinrichtungen sehr wichtig und auch eine wirksame Prävention vor späteren psychischen Auffälligkeiten bei Kindern.
Interview mit Dr. Ulrike Weiß
Die Chefärztin der Familienklinik Heiligenfeld Klinik Waldmünchen, Dr. Ulrike Weiß, beschäftigt sich seit langem mit den Zusammenhängen von psychischen Erkrankungne in der Familie. Für unseren Blog hat sie uns ein kurzes Interview zum Thema gegeben.
Was ist Familien-Burnout?
Familien-Burnout beschreibt den Zusammenbruch des familiären Gefüges als sicherer und unterstützender Ort. Die Wahrnehmung und Beantwortung der Bedürfnisse der jeweiligen Mitglieder gelingt nicht mehr ausreichend, es kommt zum Rückzug von einander, andererseits entzünden sich Konflikte schnell und werden als schwer lösbar erlebt. Die gesunde Rollenverteilung löst sich auf, so übernehmen Kinder elterliche Funktionen, dies nennt man in der Fachsprache Parentifizierung.
Was sind häufige Ursachen?
Die Ursachen sind vielschichtig, liegen sowohl außerhalb der Familien in den aktuellen gesellschaftlichen Gegebenheiten, als auch innerhalb der Familie. Außerhalb sind es z. B. enormer Leistungsdruck im Beruf und auch in der Schule.Iinnerhalb kann eine psychische Erkrankung eines Familienmitglieds das System destabilisieren. Wenn die Widerstandskraft, die sogenannte Resilienz, gegenüber diesen Belastungen nicht mehr ausreichend vorhanden ist, kommt es zum Burnout.
Wie lässt sich ein Familien-Burnout erkennen?
Wenn eine Familie ins Burnout kommt bzw. zu rutschen droht, gibt es meist mindestens einen Symptomträger, für den früher oder später auch Hilfe gesucht wird. Wichtig ist, dass diese Kontaktperson – sei es ein Arzt, Jugendamtsmitarbeiter oder auch Schulpsychologe – dann das gesamt familiäre System mitdenkt. Durch gezieltes Nachfragen bezüglich der Familienatmosphäre und typischer Symptome (Viel Streit mit wenig Lösung; Rückzug in die Arbeit oder in die Fantasie- und Medienwelt usw.) lassen sich rasch Verdachtsmomente erhärten.
Haben Sie konkrete eigene Handlungsmöglichkeiten?
Die Grenze zwischen “normalem” Alltagsstress im familiären Zusammenleben bis hin zum Familien-Burnout ist fließend – umso wichtiger ist es, dass sich v.a. die Erwachsenen in der Familie eingestehen (dürfen), dass es Ihnen nicht gut miteinander geht und Hilfe gesucht und auch angenommen wird. Familien brauchen Regeln, die alle kennen und an die sich alle halten. Das erfordert manchmal auch das einmahnen von Grenzen, was in Belastungssituationen oftmals unterlassen wird. Klar zu machen, was notwendig ist, damit das Zusammenleben funktioniert, gibt Halt und Sicherheit, d. h. dies sollte erfolgen, auch wenn es zunächst Widerstand hervorruft.
Was ist die Besonderheit der Therapie in der Heiligenfeld Klinik in Waldmünchen?
Durch die Behandlung im Eltern-Kind-Setting haben wir die Möglichkeit, die Eltern-, die Kind-Ebene und das Miteinander zu erleben (d. h. die Ausgestaltung der Eltern-Kind-Bindung) und dann mit allen gemeinsam hin zu einem gesünderen Zusammenleben zu arbeiten. Wir leiten Eltern an, dass sie für sich und ihre Bedürfnisse klar werden und dafür einstehen, dass sie ihren Kindern Halt geben indem sie sie in angemessener Weise einfordern, Grenzen setzen und aber auch für sie da sind. Die Kinder werden z. B. begleitet, ihre fürsorgliche Rolle für ihre Eltern wieder aufgeben zu dürfen und sich mit Gleichaltrigen auseinanderzusetzen.
Quellen:
http://www.psychosoziale-gesundheit.net/bb/05lenz_kinder.html
http://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article114823365/Psychisch-kranke-Eltern-ueberfordern-ihre-Kinder.html
http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/wie-kinder-psychisch-kranker-eltern-leiden-a-841687.html
Bericht zur psychischen Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen in Bayern des Bayrischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege 7. Kinder psychisch erkrankter Eltern
2 Antworten
Vielen Dank für diesen Beitrag über Familien-Burnout. Gut zu wissen, dass ein Burnout die ganze Familie betreffen kann. Wir reden in der Familie viel miteinander, wie Sie hier empfehlen und wissen nun, dass im Fall der Fälle auch eine Therapie für die Kinder angebracht wäre.
Ich kannte das Wort “Familien-Burnout” nicht. Wahrscheinlich hat meine Familie darunter gelitten, mein Mann war jahrelang in einem Tief und nicht erreichbar. Nun lasse ich mich bei einem Rechtsanwalt zum Familienrecht beraten. Er lehnt leider jede Hilfe ab, sodass eine Trennung das Beste zu sein scheint. Eine Klinik wäre sonst ein guter Weg gewesen.