Lassen Sie sich leicht ablenken? Fällt es Ihnen schwer, Aufgaben zu Ende zu bringen, oder neigen Sie zu impulsiven Entscheidungen? Dann könnte eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) dahinterstecken – eine Erkrankung, die nicht nur Kinder betrifft, sondern auch viele Erwachsene.
ADHS hört nicht nach dem Kindesalter auf
Lange Zeit wurde angenommen, dass sich ADHS nur im Kindesalter äußert. Heute weiß man: Bei etwa 50 bis 80 % der Betroffenen bleiben die Symptome bis ins Erwachsenenalter bestehen. Die Auswirkungen sind oft gravierend. Schwierigkeiten in der Arbeitsorganisation, Probleme in der Partnerschaft oder finanzielle Herausforderungen sind nur einige der Folgen. Auch das Risiko für psychische Begleiterkrankungen besteht.
Sven Steffes-Holländer, Ärztlicher Direktor der Heiligenfeld Kliniken und Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin erklärt im Interview, wie man AD(H)S im Erwachesenenalter behandeln kann.
Wie erkennt man ADHS im Erwachsenenalter?
Das Beschwerdebild verändert sich im Laufe des Lebens. Während Kinder mit ADHS oft durch motorische Unruhe auffallen, zeigt sich die Störung bei Erwachsenen eher durch innere Unruhe, Vergesslichkeit und Impulsivität. Viele Betroffene haben schon früh Strategien entwickelt, um ihre Schwierigkeiten zu kompensieren, weshalb die Symptome häufig nicht als ADHS erkannt werden. Oft werden sie als Persönlichkeitsmerkmale fehlinterpretiert.
Hinzu kommt, dass ADHS-Symptome oft mit anderen psychischen Erkrankungen überlappen. Angststörungen, Depressionen oder Suchterkrankungen treten häufig begleitend auf, sodass die Kernsymptomatik von ADHS nicht immer sofort auffällt. Ein entscheidender Hinweis auf die Störung ist jedoch, dass die Betroffenen bereits seit der Kindheit mit diesen Herausforderungen kämpfen.
Wir unterstützen Betroffene dabei, Strategien zu entwickeln, um ihren Alltag besser zu bewältigen. Ein zentraler Bestandteil unserer Therapie ist die Arbeit an der Selbststeuerung.
Sven Steffes-Holländer Ärztlicher Direktor der Heiligenfeld Kliniken
Vor welchen Herausforderungen stehen Betroffene im Alltag?
Eine verminderte Impulskontrolle in Verbindung mit Stress stellt eine große Herausforderung dar. Neue Aufgaben oder unvorhergesehene Situationen lösen schnell Überforderung aus. Da viele Betroffene Schwierigkeiten mit Organisation und Zeitmanagement haben, geraten sie in einen Teufelskreis aus Stress und Frustration. Das kann sowohl das Berufsleben als auch soziale Beziehungen belasten.
Viele Patientinnen und Patienten berichten, dass sie sich schnell ablenken lassen und Schwierigkeiten haben, Aufgaben bis zum Ende durchzuführen. Oft fällt es ihnen schwer, Prioritäten zu setzen oder langfristig zu planen. Auch emotionale Herausforderungen sind typisch: Sie reagieren häufig empfindlicher auf Kritik, erleben Emotionen intensiver und haben mitunter Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu regulieren.
Selbsttest "ADHS"
Wie wird ADHS bei Erwachsenen diagnostiziert?
Bei der Diagnose von ADHS bei Erwachsenen orientieren wir uns in der Regel an den Diagnosekriterien von ADHS im Kindes- und Jugendalter. ADHS im Erwachsenenalter zu erkennen, ist generell besonders schwierig. Zum einen können die Symptome auch auf einer anderen psychischen Störung beruhen. Zum anderen muss für die Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter sichergestellt werden, dass die Erkrankung bereits im Kindesalter bestanden hat. Bei der Diagnose von ADHS bei Erwachsenen orientiert sich ein Psychiater oder Psychotherapeut in der Regel an den Diagnosekriterien von ADHS im Kindes- und Jugendalter.
Wie wird ADHS in der Heiligenfeld Klinik Berlin behandelt?
Wir unterstützen Betroffene dabei, Strategien zu entwickeln, um ihren Alltag besser zu bewältigen. Ein zentraler Bestandteil unserer Therapie ist die Arbeit an der Selbststeuerung. In speziellen Gruppen lernen ADHS-Betroffene, ihre Impulsivität zu kontrollieren, ihre Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern und ihre Arbeitsorganisation zu optimieren. Zusätzlich bieten wir Einzeltherapie an, um individuell auf Herausforderungen einzugehen.
Ein wichtiger Bestandteil der Therapie ist es, gemeinsam mit den Patient*innen herauszufinden, welche Strategien ihnen im Alltag helfen können. Oft geht es um ganz praktische Fragen: Wie kann ich meine Zeit besser strukturieren? Welche Methoden helfen mir, meine Aufgaben im Blick zu behalten? Wie gehe ich mit stressigen Situationen um? Wir arbeiten mit verhaltenstherapeutischen Ansätzen, aber auch mit achtsamkeitsbasierten Methoden, um die Selbstwahrnehmung zu schärfen.
Welchen Effekt hat die Therapie auf Betroffene?
Insgesamt reagieren Erwachsene mit ADHS viel emotionaler als andere Menschen und empfinden Gefühle intensiver – auch die positiven. Außerdem gehen sie offener und spielerischer an die Dinge heran und entwickeln oft besonders originelle Ideen. Gelingt es ihnen, ihren Ideenreichtum zu kanalisieren und zu nutzen, können Erwachsene mit ADHS im Beruf sogar ausgesprochen erfolgreich sein. Wir helfen durch unsere Behandlung Betroffenen, problematische Aspekte ihrer Erkrankungen besser bewältigen zu können, aber auch ihre Ressourcen wahrzunehmen und in den Alltag zu integrieren.
ADHS bei Frauen
Sven Steffes-Holländer
Ärztlicher Direktor der Heiligenfeld Kliniken und Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Sven Steffes-Holländer
Ärztlicher Direktor der Heiligenfeld Kliniken und Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
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2 Antworten
Spannender Artikel! In der Selbstständigkeit merkt man oft, wie wichtig gute Selbststeuerung ist – und wie schnell man an Grenzen stößt, wenn innere Unruhe oder Reizüberflutung dazukommen. Der therapeutische Ansatz klingt vielversprechend.
Liebe Karolin,
vielen Dank für Ihren Kommentar und das positive Feedback. Es freut uns sehr, wenn er Ihnen gefällt.
Herzliche Grüße
Kathrin Schmitt