Die ersten Stunden zählen – Bindungsstörungen und ihre Behandlung

Bad Kissingen – Am 19. April hat zum sechsten Mal der Heiligenfelder Psychotherapieabend in diesem Jahr stattgefunden. Das neue Veranstaltungsformat bietet Expertenwissen von Chefärzten der Heiligenfeld Klinken online bequem von zu Hause aus. Die Vorträge sind als Fortbildung von der Bayerischen Landesärztekammer anerkannt. 250 Ärzte und Therapeuten aus ganz Deutschland bildeten sich am Dienstagabend zum Thema „Bindungsstörungen und ihre Behandlung“ weiter. Referent war Dr. Hans-Peter Selmaier, Chefarzt der Parkklinik Heiligenfeld in Bad Kissingen.

Zu Beginn des Vortrages ging Selmaier auf die Bindung und ihre Entwicklung ein. „Bindung entsteht im ersten Lebensjahr“, sagte Selmaier. Dabei zählen die ersten Stunden. So haben die ersten vier Stunden für die ersten fünf Lebensjahre großen Einfluss auf die Haltung der Mutter zum Kind. Fehlt der Kontakt, entsteht kaum noch eine angemessene Verbindung. Eine gute Mutter-Kind-Bindung ist basal für die Entwicklung des Kindes. Eine gute Mutter- bzw. Elternbindung zeigt sich im sicheren Umgang, in der Zärtlichkeit und der Feinfühligkeit sowie in dem Gefühl der Zugehörigkeit. Die Pflegeperson muss die Signale des Säuglings aufmerksam wahrnehmen, richtig interpretieren, angemessen und prompt reagieren. „Dies kann über Sprache, Blickkontakt oder Berührung geschehen“, sagte Selmaier. Die Feinfühligkeit des Vaters und der Mutter zeigt sich im Zuhören, im miteinander spielen, aber auch beim Trösten oder wenn das Kind unartig ist. Durch Feinfühligkeit wird die Fähigkeit vermittelt, mit Stress fertig zu werden und erfüllte Beziehungen einzugehen, aber auch mit Wut umzugehen sowie Träume und Ziele zu verfolgen und tiefe Ruhe zu empfinden. Im weiteren Verlauf des Vortrages ging Selmaier auf kindliche und erwachsene Bindungsqualitäten ein, auf eine gestörte Bindungsentwicklung und deren Folgen. Dabei unterschied er zwischen sicherer Bindung, unsicher-vermeidender Bindung und unsicher-ambivalenter Bindung. Risiken für Bindungsstörungen im Kindesalter sind nach Selmaier die Überbehütung, Beziehungsabbrüche, ambivalente Bindungen, Ablehnung und Abwertung, mangelnde Förderung und Traumata wie Gewalt, Misshandlung oder Vernachlässigung. Dabei können die Risiken kumuliert oder wechselseitig auftreten. Regulationsstörungen im Säuglings- und Kleinkindalter zeigen sich in der Beziehung zu den Hauptbezugspersonen. Säuglinge und Kleinkinder, die exzessiv schreien, quengeln, klammern, trotzen oder Probleme mit dem Schlafen und Essen haben, können Eltern an ihre Belastungsgrenzen bringen. Die Bewältigung dieser Verhaltensprobleme hängt dann von der Balance zwischen der Selbstregulierungsfähigkeit des Kindes und den intuitiven elterlichen Regulierungshilfen ab. Anhand der Krankheitsbilder zeigte Selmaier die Merkmale für die verschiedenen Regulations- und Bindungsstörungen auf und nannte Differenzialdiagnosen, um dann die Therapie und die Prophylaxe von Bindungsstörungen aufzuzeigen. Ziele der Intervention können dabei das Erhöhen der Feinfühligkeit und die Erinnerung und Bewertung der eigenen Bindungserfahrung sein. Dabei führt die soziale Unterstützung der Eltern im Alltag und der Kinderbetreuung zur Entlastung der Erziehungsberechtigten. Als zusammenfassende Empfehlung gab Dr. Hans-Peter Selmaier den Rat, möglichst früh mit der Behandlung zu starten und diese intensiv und lange durchzuführen, stetig die Bindungsfähigkeit zu stärken und die soziale Integration zu fördern. Eltern und Kind sollten an ihrer Affekt- und Impulskontrolle arbeiten, die Stressregulation verbessern und somit die bio-psycho-soziale Entwicklung stärken. Die Kooperation mit den Eltern, insbesondere das Wohl der Mutter ist dabei ausschlaggebend. Im Vortrag ging Selmaier auf die strukturbezogene Psychotherapie nach Gerd Rudolf und die Aspekte des Therapeuten, der Erwachsenen und der Kinder und Jugendlichen bei der bindungsbasierten Psychotherapie ein. Ein sehr informativer Vortrag, waren sich die Teilnehmenden einig und bedankten sich bei Dr. Hans-Peter Selmaier.

Vortrag Psychotherapieabend

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