Es ist ein sehr klischeebelastetes Bild, das unsere Gesellschaft von Männern hat. Insbesondere was die „Gefühlswelt“ angeht, werden Männer scheinbar noch immer nicht ernst genommen. Man hat ein altes, klassisches Rollenbild vor Augen: Der Mann wird als mental unverwundbare, starke und unabhängige Figur „idealisiert“. Kein Wunder also, dass es Männern schwer fällt offen über ihre Gefühle zu sprechen. Das Resultat ist schließlich der einsame Mann.
Der einsame Mann: Ursachen der Einsamkeit
Boys don't cry - und dann werden sie erwachsen
Eine norwegische Studie aus dem Jahr 2013 1 hat festgestellt, dass Männer im mittleren Alter vor allem deswegen in die Einsamkeit geraten, weil sie Konflikte ihrer Kindheit – wie Mobbing in der Schule oder eine problematische Beziehung mit den Eltern – noch immer mit sich herumschleppen. Weil ihnen ihre Rolle verbietet (oder verboten hat) diese Probleme zu adressieren und zu verarbeiten, geraten sie in eine Position, in der sie alleine mit ihren belastenden Erfahrungen sind. Selbst wenn sie „oberflächlich“ gar nicht einsam wirken, also eine Reihe sozialer Kontakte haben, fühlen sie sich durch ihr Schweigen auf emotionaler Ebene isoliert.
Don't leave me this way
In derselben Studie* stellte sich heraus, dass Männer, während sie nach einer Scheidung seltener als Frauen von Einsamkeit betroffen sind, sehr stark darunter leiden, wenn ihre Partnerin oder ihr Partner verstirbt. Witwer werden dabei zu Opfern einer schleichenden Isolation. Soll heißen: Über viele Jahre war ihr Lebensgefährte ihre ultimative Bezugsperson, auf die sich viele ihrer Bedürfnisse und sozialen Interaktionen konzentriert haben. Besonders bei Männern ab sechzig Jahren ist das Risiko erhöht, dass sie durch diesen einen tragischen Todesfall vereinsamen.
Das männlichen Rollenbild
Der coole Einzelgänger
Aber es muss gar nicht um Leben oder Tod gehen! Einsamkeit bei Männern wird oft auch einfach romantisiert. Männer, die sich nicht auf einen Partner oder eine Partnerin festlegen können, gelten als cool und unabhängig. Männer, die ihre Karriere ernst nehmen und deswegen kaum Zeit für Familie oder Freunde haben, nennen wir „smart“, „ehrgeizig“ oder „zielstrebig“. Man verbindet mit ihnen Erfolg, Charisma und Macht. (Zum Vergleich: Bei Frauen haben Begriffe wie „Karrierefrau“ oder „Powerfrau“ häufig eine eher negative, gehässige Konnotation.) Männer, die wenige oder unstete Beziehungen haben, gelten als ungebundene „Abenteurer“. Dieses Image stärkt Männer allerdings nicht (nur), es setzt sie massiv unter Leistungsdruck! Und es vermittelt ihnen, dass man von ihnen erwartet sich auch als Einzelkämpfer wohlzufühlen!
Der ewige Junggeselle
Was wenn ein Mann nun sichtlich nicht zufrieden ist? Wenn er sich traut seinen Frust über die Einsamkeit zu verbalisieren? Alleinstehende Männer, die ihre emotionale Seite zeigen, werden leider allzu schnell in eine Schublade gesteckt. Aufgrund des sehr stereotypischen Rollenbildes werden diese Männer oft als „Sensibelchen“ oder „Schwächlinge“ wahrgenommen. Es gilt gemeinhin nicht als besonders attraktiv für Männer introvertiert, alleinstehend – und dann auch noch traurig darüber zu sein! Das ist wirklich ein Problem, fand doch die Nutzerbefragung einer großen Online-Dating-Plattform unlängst heraus, dass das Single-Dasein Männern sehr stark zusetzt. Mehr noch sogar als ihren weiblichen Pendants! Bindungsängste werden oft als Grund für die Partnerlosigkeit vorgeschoben, weil „mann“ sich schämt sein intimes Bedürfnis nach Nähe und Zusammengehörigkeit zuzugeben, aus Angst davor verurteilt zu werden.
Ruhig aus den Rollen fallen
Ein falsches – oder zumindest überholtes – Rollenverständnis kann Männer also in eine Position der Isolierung, der „Mundtotheit“ und Beziehungslosigkeit drängen. Es ist deswegen anzuraten, dass „mann“ sich traut, aus der Rolle zu fallen – anstatt ihr zum Opfer zu fallen. Der Kampf gegen die Einsamkeit hat viel mit Selbstakzeptanz und Selbstbewusstsein zu tun – und das steht jedem Mann.
In den Heiligenfeld Kliniken setzten wir uns seit drei Jahrzehnten mit psychischen Erkrankungen, die aus Einsamkeit entstehen können, auseinander. Informieren sie sich über unsere speziellen Behandlungsangebote, beispielsweise in unserer neuen Tagesklinik in Berlin.
1Nicolaisen, M., & Thorsen, K. (2014). Loneliness among men and women–a five-year follow-up study. Aging & Mental Health, 18(2), 194-206
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2 Antworten
Korrekt Sexismus gegen Männer, auch von Frauen, ist nach wie vor an der Tagesordnung.
Deswegen bleibe ich lieber allein. Nur so findet man Kraft.
Liebe Heike Edelmann-Lang, ich finde den Artikel gut, da typisches oder auch überkommenes Rollenverhalten nicht allein als Schuld oder Verantwortung der Männer angesehen wird, so wie es leider im feministisch geprägten Deutschland oft der Fall ist.
Nicht nur evolutionär, auch zivilisatorisch wird in der heutigen Zeit Rollenverhalten durch die Gesellschaft geprägt. Diese besteht aus Frauen und Männern, Diversen … Von Verantwortung oder Mut zur Verantwortung würde ich noch lieber sprechen als von „Schuld“. Das Übernehmen von Verantwortung brauchen wir bei beiden Geschlechtern, und wir sollten uns vor allem gegenseitig als Menschen wertschätzen.
Ich hoffe und wünsche mir, das wir als Gesellschaft auf einem guten weg sind. Vermeintliche Schwäche kann eine Stärke sein, egal ob bei Mann oder bei Frau. Wir sollten alle auf unsere Potenziale fokussieren und das Beste aus Mensch und Gesellschaft machen. LG aus Karlsruhe.