„Je größer das innere Erleben von Vertrauen und Zuversicht und einer Verbundenheit mit dem größeren Ganzen, desto geringer sind die Symptombelastung und desto besser die Lebenskompetenzen.“
Achtsamkeit heißt Achten
Für die Heiligenfeld Kliniken stellt die Spiritualität eine wesentliche Dimension des Menschseins dar und besitzt ein wertvolles Heilungspotenzial. In der Psychotherapie integrieren wir die Themen Achtsamkeit und Spiritualität im Rahmen offener Angebote. Welchen Einfluss das Zugehörigkeitsgefühl zu einem größeren Ganzen und die Spiritualität auf die Therapie von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen hat, wurde im Rahmen einer Analyse der Uniklinik Regensburg untersucht. Leiter der Analyse ist Prof. Dr. Thilo Hinterberger.
Prof. Hinterberger, Sie haben in einer umfangreichen wissenschaftlichen Evaluation die Wechselwirkungen und Einflüsse zwischen Spiritualität und Psychosomatik untersucht. Was sind die zentralen Ergebnisse der Analyse?
Wir haben über 8.000 Patient*innen der Heiligenfeld Kliniken der letzten 10 Jahre in der Analyse berücksichtigt, an denen wir verschiedene Fragebogen zur Spiritualität jeweils bei Aufnahme und Entlassung erhoben haben. Diese beinhalteten verschiedene Aspekte des transpersonalen Vertrauens und spiritueller Lebenshaltungen.
Interessiert hat mich insbesondere der Zusammenhang zwischen Spiritualität und den psychosomatischen Symptombelastungen sowie der sogenannten Lebenskompetenzen. Im Ergebnis zeigte sich jedoch insgesamt nur ein schwacher Zusammenhang, so dass die Frage interessant wurde, welche der verschiedenen Aussagen in den Fragebogen bezüglich Spiritualität einen stärkeren und welche vielleicht keinen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben. Und hier zeigten sich tatsächlich Unterschiede. Das innere Erleben von Vertrauen und Zuversicht sowie einer Verbundenheit mit dem größeren Ganzen geht mit einer geringeren Symptombelastung und besseren Lebenskompetenzen einher, wohingegen es kaum einen Einfluss hat, ob jemand religiös ist, an Gott glaubt oder an ein Leben nach dem Tod.
Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?
Es scheint, dass ein tiefes Vertrauen und das Gefühl der Verbundenheit die salutogenen Aspekte der Spiritualität bilden. Das ist zwar nicht wirklich überraschend, aber es ist faszinierend zu sehen, dass dies die therapeutischen Ansätze und das Konzept von Heiligenfeld insgesamt bestätigt. Denn hier geht es wesentlich um Gemeinschaft und Verbundenheit sowie die Stärkung der personalen Kompetenzen. Vielleicht überraschender, aber ebenso verständlich ist, dass die weltanschaulichen Aspekte der Spiritualität und die kognitiven Konstrukte, an die sich Menschen oft allzu gerne klammern, offensichtlich keinen Beitrag zur psychischen Gesundheit leisten, manchmal sogar eher noch hinderlich sein können. Dennoch werden gerade diese Aspekte als transpersonal, also als über das Ich hinausgehend, bezeichnet. Dagegen sind Vertrauen und das Gefühl der Verbundenheit personale Eigenschaften. Man könnte also die vielleicht provokative und doch einleuchtende These wagen, dass es nicht die transpersonalen, sondern die personalen Aspekte der Spiritualität sind, die mit der eigenen Gesundheit zu tun haben. Das Transpersonale hingegen hat andere Funktionen wie beispielsweise das Ethische.
Welchen Rat haben Sie für Ärzt*innen und Therapeut*innen, auf welche gesundheitsfördernden Haltungen und Kompetenzen kommt es an?
Unter Beachtung des eben Genannten erweisen sich Spiritualität und Psychotherapie als durchaus kompatibel. Es lohnt sich aber, die Grundhaltung, Lebenseinstellung und Glaubenssätze spiritueller Patient*innen genauer zu erfahren und anzuschauen, um deren Ressourcen mit in die Therapie einzubeziehen, aber auch die möglichen Hindernisse zu erkennen, aus denen sich beispielsweise durch Abhängigkeiten oder einengenden Sichtweisen spirituelle Krisen entwickeln können.
Wir leben in einer Zeit der Krisen. Wie können wir – als Individuen und als Gesellschaft – krisenresilienter werden?
Ich denke, dass eine große Chance in einer Spiritualität liegt, die in der Lage ist, einerseits eine versöhnte Verbundenheit mit der Welt, den Mitmenschen und den widrigen Umständen zu ermöglichen und gleichzeitig Raum für die mentale Distanzierung lässt, so dass wir den Blick für die Möglichkeiten und die Vielfalt an Perspektiven nicht verlieren. Dann kann es in Krisenzeiten gelingen, dass wir umgeben von äußeren Zwängen aus einer inneren Freiheit leben und in einer fragwürdigen Welt ein sinnstiftendes Dasein führen können.
Spiritualität in den Heiligenfeld Kliniken
Prof. Dr. Thilo Hinterberger
Prof. Dr. rer. nat. Thilo Hinterberger ist Physiker, Neuro- und Bewusstseinswissenschaftler.
Er verbindet die modernen Neurowissenschaften mit der Physik, Psychologie, Philosophie und
mit Themen der Gesellschaft. Seit 2011 leitet er den Forschungsbereich für Angewandte
Bewusstseinswissenschaften in der Psychosomatischen Medizin am Universitätsklinikum
Regensburg. Er ist Präsident der Gesellschaft für Bewusstseinswissenschaften und Bewusstseinskultur (GBB e.V.) und Kurator der Stiftung Bewusstseinswissenschaften. https://www.bewusstseinswissenschaften.net/
Prof. Dr. rer. nat. Thilo Hinterberger
Prof. Dr. rer. nat. Thilo Hinterberger ist Physiker, Neuro- und Bewusstseinswissenschaftler.
Er verbindet die modernen Neurowissenschaften mit der Physik, Psychologie, Philosophie und
mit Themen der Gesellschaft. Seit 2011 leitet er den Forschungsbereich für Angewandte
Bewusstseinswissenschaften in der Psychosomatischen Medizin am Universitätsklinikum
Regensburg. Er ist Präsident der Gesellschaft für Bewusstseinswissenschaften und Bewusstseinskultur (GBB e.V.) und Kurator der Stiftung Bewusstseinswissenschaften. https://www.bewusstseinswissenschaften.net/
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