Dissoziative Störungen: Was steckt dahinter?

Stellen Sie sich vor, Sie stehen beim Einkaufen vor dem Regal und wissen plötzlich nicht mehr, wo Sie sind und was Sie eigentlich tun wollen. Auch wie Sie heißen oder wo Sie wohnen haben Sie vergessen. Für Menschen, die von dissoziativen Störungen betroffen sind, sind solche Episoden keine seltene Erfahrung. Im Interview spricht Sven Steffes-Holländer, Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin, über die unterschiedlichen Arten dieser Störung, ihre Symptome, Ursachen und Diagnose sowie aktuelle Behandlungsmöglichkeiten.

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Sven Steffes-Holländer

Chefarzt der Heiligenfeld Klinik Berlin

Was sind dissoziative Störungen?

Bei dissoziativen Störungen handelt es sich um eine Gruppe von psychischen Erkrankungen, bei denen es zu einem Verlust der normalen Integration von Bewusstsein, Erinnerung, Identität und Wahrnehmung kommt. 

Menschen mit dissoziativen Störungen erleben oft eine Trennung zwischen Gedanken, Gefühlen, Erinnerungen und ihrer Identität. Diese Trennung kann dazu führen, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, ihre Umgebung oder sogar sich selbst wahrzunehmen. Die Symptome bei dissoziativen Störungen variieren und umfassen Identitätsstörungen, das Gefühl, außerhalb des eigenen Körpers zu stehen und Gedächtnisverlust für bestimmte Zeiträume oder Ereignisse.

Im Alltag können diese Symptome von dissoziativen Störungen zu erheblichen Beeinträchtigungen führen, zum Beispiel Probleme bei der Arbeit oder in Beziehungen, Schwierigkeiten, tägliche Aufgaben zu bewältigen und ein Gefühl der Isolation oder des Unverständnisses durch andere.

Welche Arten von dissoziativen Störungen gibt es? 

Es gibt mehrere Arten dissoziativer Störungen.

Betroffene einer dissoziativen Amnesie zum Beispiel verlieren die Fähigkeit, sich an wichtige persönliche Informationen zu erinnern, oft als Reaktion auf ein traumatisches Ereignis. Diese Amnesie kann zeitlich begrenzt sein oder bestimmte Ereignisse und Informationen betreffen.

Die dissoziative Identitätsstörung (DIS), früher als multiple Persönlichkeitsstörung bekannt, ist die schwerste Form dissoziativer Störungen. Betroffene haben zwei oder mehr unterschiedliche Identitäten oder Persönlichkeitszustände, die jeweils ihre eigenen Muster von Wahrnehmung und Verhalten haben.

Menschen, die von einer Depersonalisationsstörung oder Derealisationsstörung betroffen sind, erleben anhaltende oder wiederkehrende Episoden von Depersonalisation, also ein Gefühl der Losgelöstheit vom eigenen Körper oder der eigenen Gedanken, und/oder Episoden von Derealisation, bei der sich die Umgebung unwirklich anfühlt.

Was sind Ursachen und Risikofaktoren für die Entwicklung dissoziativer Störungen?

Die Hauptursache für dissoziative Störungen sind schwere und wiederholte Traumata, insbesondere in der Kindheit. Dazu gehören körperlicher, emotionaler oder sexueller Missbrauch sowie extreme Vernachlässigung. Diese traumatischen Erlebnisse führen dazu, dass das Gehirn als Schutzmechanismus dissoziative Prozesse entwickelt. Es gibt auch Hinweise darauf, dass genetische Faktoren und die Anfälligkeit für Stress eine Rolle spielen können, aber die Auslöser aus der Umwelt, insbesondere frühkindliche Traumata, sind die Hauptfaktoren.

Wie wird eine dissoziative Störungen diagnostiziert?

Die Diagnose erfolgt in der Regel durch eine gründliche psychotherapeutische Befragung, die Anamnese und gegebenenfalls spezifische Diagnosetests umfasst. Eine Herausforderung bei der Diagnose ist, dass die Symptome oft anderen psychischen Störungen ähneln, zum Beispiel der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Depressionen oder Angsterkrankungen. Zudem haben Betroffene häufig Schwierigkeiten, ihre Symptome zu beschreiben – oder sie vermeiden aus Scham oder Angst, über ihre Erlebnisse zu sprechen.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es bei dissoziativen Störungen?

Zur Behandlung dissoziativer Störungen wird in der Regel Psychotherapie eingesetzt. Spezifische Ansätze sind dabei Elemente aus der Traumatherapie, um traumatische Erinnerungen in einem sicheren Umfeld verarbeiten zu können. Auch Methoden wie EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) haben sich als effektiv erwiesen. Besonders hilfreich bei emotionaler Instabilität und Selbstverletzungsverhalten ist das Erlernen von Strategien zur Emotionsregulation. Medikamente können zur Behandlung begleitender Symptome wie Depression oder Angst eingesetzt werden, aber sie sind keine primäre Behandlung für die dissoziativen Symptome selbst. 

Welche Rolle spielt das Umfeld bei der Bewältigung dissoziativer Störungen?

Ein sicheres und stabiles soziales Umfeld ist oft ein wichtiger Bestandteil des Heilungsprozesses. Familie und Freunde können helfen, indem sie Verständnis zeigen, Geduld haben und den Betroffenen ermutigen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch Selbsthilfegruppen können wertvolle Unterstützung bieten. 

Gibt es Präventionsstrategien, um dissoziative Störungen zu verhindern?

Frühe Intervention bei Kindern, die Traumata erlebt haben, ist entscheidend. Dazu gehören psychologische Betreuung und Therapie, um die Verarbeitung traumatischer Erlebnisse zu unterstützen. Bewusstsein und Aufklärung über die Anzeichen und Symptome dissoziativer Störungen können ebenfalls helfen, sie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Es ist wichtig, ein Umfeld zu schaffen, in dem über Traumata gesprochen werden kann und in dem Betroffene Unterstützung finden.

Was sollten Menschen wissen, die von einer dissoziativen Störung betroffen sind oder Betroffene im Umfeld haben?

Sie sollten wissen, dass dissoziative Störungen behandelbar sind und dass es auch mit dieser Erkrankung möglich ist, ein erfülltes Leben zu führen. Es ist wichtig, sich professionelle Hilfe zu suchen und über die eigenen Erfahrungen zu sprechen. Information und Aufklärung über die Störung können helfen, besser mit der Situation umzugehen.

Gibt es aktuell neue Erkenntnisse über dissoziative Störungen und die Behandlung?

Aktuelle Forschung konzentriert sich auf die neurobiologischen Grundlagen dissoziativer Störungen, einschließlich der Untersuchung von Gehirnstrukturen und -funktionen, die bei Betroffenen verändert sein können. Es gibt zum Beispiel auch Fortschritte in der Traumatherapie und neuen therapeutischen Ansätzen. Außerdem gibt es verstärkte Bemühungen, die Stigmatisierung von dissoziativen Störungen zu reduzieren und die Aufklärung in der breiten Öffentlichkeit zu verbessern.

Wie werden dissoziative Störungen in den Heiligenfeld Kliniken behandelt?

Das Konzept der Heiligenfeld Kliniken ist besonders hilfreich bei der Behandlung dissoziativer Störungen, da es einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt. Großer Wert wird auf eine integrative Therapie gelegt, die körperliche, psychische und soziale Aspekte berücksichtigt. Zu den Therapieangeboten gehören unter anderem bewährte Elemente der Traumatherapie, körperorientierte Verfahren, kreative Therapien wie Kunst- und Rhythmustherapie sowie Gruppentherapien. Durch dieses umfassende Vorgehen werden nicht nur die Symptome behandelt, sondern auch die zugrundeliegenden Ursachen, was zu einer nachhaltigen Genesung beitragen kann. Außerdem liegt ein besonderes Augenmerk auf der Schaffung eines sicheren und unterstützenden Umfelds, das für die Genesung von Patientinnen und Patienten mit dissoziativen Störungen essenziell ist.

Hilfestellungen und weiterführende Inhalte

Für Menschen, die von dissoziativen Störungen betroffen sind, gibt es verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten.

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