Was wünsche ich mir in meiner Partnerschaft? Manche können diese Frage auf Anhieb beantworten andere finden womöglich nach langem Überlegen keine konkrete Antwort darauf. In einer Liebesbeziehung, wie auch in allen anderen Beziehungen mit unseren Mitmenschen, sollten wir auch der Beziehung zu uns selbst bewusst sein. Mithilfe dieser Bewusstheit kann Partnerschaft zu einem wundervollen, Kraft spendenden Ort und einer tiefen Verbundenheit zu sich selbst, zum Anderen und zum gemeinsamen Leben werden. Seit vielen Jahren bieten Hella Suderow und Christian Schumacher unterschiedliche Workshops, Beratungen und Begleitung im Feld der Achtsamkeit in Partnerschaft und Sexualität an. Im Rahmen unseres Achtsamkeitsmonats haben wir die beiden um ein Interview geben:
Wie kann man Achtsamkeit in die Paarbeziehung integrieren? Haben Sie hierfür vielleicht konkrete Beispiele?
Achtsamkeit, wie wir sie verstehen, ist ein Zustand der bewussten Anwesenheit im gegenwärtigen Moment. Es geht darum, zu wissen, was ich erlebe, während ich es erlebe. Wir beziehen uns hierbei auf den Körper und laden dazu ein, sich im eigenen Körper zu verankern. Mithilfe unseres Geistes können wir unsere Aufmerksamkeit in das Spüren des Körpers lenken und auf diese Weise üben, uns aller Sinneseindrücke, Körperempfindungen und Gefühle deutlicher gewahr zu werden.
Aus unserer Arbeit mit Paaren wissen wir, dass es eine große Sehnsucht nach einer tieferen Verbindung zum Partner bzw. zur Partnerin gibt und oft nicht gewusst wird, wie diese Verbindung hergestellt werden kann. Im ersten Schritt stärken wir also die Verbindung zum eigenen Körper, denn über den Körper verankern wir uns in der Gegenwart. Erst von hieraus können wir eine tiefere Verbindung zum anderen, zum Du aufbauen.
Wenn wir uns einmal ganz ehrlich beobachten, sind wir selten wirklich im Kontakt mit unseren Körperempfindungen und unserem Sinneserleben, sobald wir in Begegnung gehen. Wo bin ich tatsächlich mit meiner Aufmerksamkeit, wenn ich mich zum Beispiel von meinem Liebsten verabschiede?
Es sind diese vielen kleinen Alltagsbegegnungen, die uns einladen, einen Moment inne zu halten, den eigenen Körper in der Begegnung wahrzunehmen und von hieraus den Menschen zu spüren, den wir gerade küssen oder umarmen. Ohne dieses bewusste Innehalten und Wahrnehmen wird jeder Kontakt oberflächlich und zu einer Routine. Der Verstand „weiß“, wie sich eine Begegnung ereignen wird und langweilt sich schnell. Der Körper jedoch kann im gegenwärtigen Augenblick etwas mit all seinen Sinnen erleben – dies ist nie langweilig, sondern immer wieder neu: Jetzt! Und mit Hilfe der Achtsamkeit kann jede noch so kleine Begegnung oder Berührung eine Einladung sein, in dieses Jetzt gemeinsam einzutauchen und eine wirklich nährende Verbindung miteinander aufzubauen sowie die Herzen füreinander zu öffnen.
Des Weiteren ist eine achtsame Kommunikation in Beziehungen ein wichtiges Thema, das Übung und oft auch Unterstützung von außen braucht, um aus eingefahrenen Mustern aussteigen zu können. Konkret kann ich zunächst üben, meinem Partner wirklich zuzuhören. Was bedeutet das genau? Wenn der andere spricht, entspanne ich mich, öffne mich für mein eigenes inneres Erleben, ohne gleich etwas entgegnen zu wollen, lasse das Gehörte auf mich wirken und habe ein ehrliches Interesse, etwas über die Welt meines Gegenübers zu erfahren.
Eine wunderbare Möglichkeit, ein achtsames einander Zuhören zu üben, ist ein sog. Seelengespräch, in dem jeder einen festgelegten Zeitraum zum Sprechen und zum Zuhören bekommt. Wir geben diese konkrete Übung Paaren oft mit nach Hause, die zu uns in die Beratung kommen.
Ganz allgemein lässt sich sagen, dass eine Beziehung leider von ganz allein schlechter wird. Wenn wir jedoch ein achtsames Miteinander kultivieren, wird die Liebe füreinander immer tiefer, anstatt im alltäglichen Fluss des Lebens verloren zu gehen.
Sie haben beim letzten Heiligenfelder Kongress ein Vortrag zum Thema “Slow Sex” gehalten. Was ist „Slow Sex“?
Der Begriff „Slow“ mag die Vorstellung wecken, dass es um Langsamkeit in der sexuellen Begegnung geht. Gemeint ist jedoch, Achtsamkeit nicht nur in den alltäglichen Beziehungsraum einzuladen, sondern mit Hilfe von Bewusstheit auch im Sex die Liebe füreinander zu stärken. Also im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur `Sex haben‘, sondern wieder `Liebe machen‘! Und sobald wir dafür die Achtsamkeit sozusagen mit ins Bett nehmen, wird Sex von ganz allein langsamer. Es handelt sich also vielmehr um eine innere Haltung als um eine neue sexuelle Technik. Über das Anwesend-sein im eigenen Körper, so wie oben beschrieben, erweitern sich die Möglichkeiten des gemeinsamen Erlebens. Der Spielraum des Erfüllens von Bedürfnissen und Wünschen für beide Liebenden wird größer und vielfältiger. Ganz allgemein gesagt wird der Liebesraum weiter und tiefer. Und mit der Tiefe wächst dann auch die Verbindung und die Liebe, die gerade in langen Beziehungen verloren geht, wenn wir den Sex gewohnheitsmäßig, oft auch nur noch zum Zweck der Befriedigung des sexuellen Triebes ausleben oder als Teil des partnerschaftlichen Pflichtprogramms abarbeiten. Tatsächlich begegnet uns diese Situation in unserer Arbeit mit Paaren fast täglich, mit all den Enttäuschungen, Frustrationen und Missverständnissen, die damit einhergehen.
Gerade in der Sexualität spulen wir unbewusst immer wieder die gleichen Erregungsmuster ab, sind mit unserer Aufmerksamkeit oft auf ein Ziel – den Orgasmus – fokussiert und spannen uns an, um dorthin zu gelangen, anstatt der eigentlichen Schönheit des Sich-Spürens im Hier und Jetzt unsere Aufmerksamkeit zu schenken – mit allem, was in uns gerade lebendig ist. Dies schließt auch mit ein, dass wir uns mit unseren Unsicherheiten und unserer Verletzlichkeit zeigen und annehmen lernen.
Unbewusst spiegelt die Art und Weise, wie wir Sexualität leben, auch unsere Gesellschaft wider: Es geht eher darum, einem perfekten äußeren Bild zu entsprechen und gute Leistungen zu erbringen. Es geht um Event, um Konsum. Wir benutzen einander, ohne uns darüber bewusst zu sein, und wir brauchen immer stärkere Reize, um überhaupt noch etwas zu fühlen. Hier verlieren viele Paare die Lust am sexuellen Beisammensein, weil sich der Wunsch nach einer tieferen Verbindung über diese Art der Sexualität nicht erfüllen lässt.
Slow Sex lädt dazu ein, den Fokus der Aufmerksamkeit nicht auf äußere Reize zu legen, sondern wieder feinfühliger für das innere Erleben zu werden – Sensibilität statt Sensation!
Indem wir uns im Liebesspiel immer wieder darauf besinnen, uns im eigenen Körper wirklich zu spüren, uns miteinander zu entspannen und uns berührbar zu zeigen sowie ehrlich zu teilen, was uns Freude macht oder was gerade in uns lebendig ist und dies alles mehr und mehr in unser erotisches Spiel einfließen lassen – spielerisch, forschend und mit einer guten Portion Humor – stärken wir unsere Verbindung und Liebe füreinander.
Für wen eignet sich “Slow Sex”?
Grundsätzlich eignet sich diese Art von Sexualität für jeden Menschen, der daran interessiert ist, sich in der eigenen Sexualität weiter zu entwickeln. Slow Sex ist für all diejenigen passend, die den Sex nicht nur als Triebbefriedigung oder Stressabbau benutzen wollen, sondern die durch die sexuelle Begegnung mit dem Du ihre Verbindung, ihre Nähe, ihre Intimität und letztendlich ihre Liebe vertiefen wollen. Das Alter spielt dabei keine Rolle. Sowohl junge als auch ältere und alte Menschen fühlen sich davon angezogen, insofern sie mit den Qualitäten der achtsamen Haltung übereinstimmen.
Oft finden Paare den Weg in unsere Seminare, die sich zwar lieben, jedoch das Interesse am konventionellen Sex verloren haben. Sie spüren, dass es noch mehr geben muss, als immer wieder die gleichen Muster abzuspielen und sind traurig, nur noch selten oder vielleicht sogar gar keine körperliche Begegnung mehr miteinander zu erleben. Manchmal tauchen in den Wechseljahren der Frau auch Schmerzen auf, was zu einem totalen Abbruch der Sexualität führen kann. Oder ein Mann verliert mit zunehmendem Alter seine volle Erektionsfähigkeit und fühlt sich verunsichert. Vielleicht gehen auch die Kinder aus dem Haus und ein Paar sucht nach neuen Wegen im Miteinander, um die dann wieder freigewordene Zeit für ein Mehr an Verbindung zu nutzen. Manchmal kommen auch junge Paare, die vor dem ersten Kind ihre Beziehung auf ein stabileres Fundament stellen möchten.
Welche Intention auch dahinterstecken mag: Es ist immer eine Bereicherung für die Partnerschaft, sich für eine Weiterentwicklung und ein tieferes Verstehen mit dem Thema der Sexualität auseinanderzusetzen.
Hella Suderow und Christian Schumacher arbeiten in iher Praxis Paarweise Seminare für Paar an. Zu den Personen:
Hella Suderow
ist Diplom-Psychologin, unterrichtet MBSRStressbewältigung durch Achtsamkeit. Gemeinsam mit Christian Schumacher leitet sie seit Jahren Seminare für Paare und sie sind anerkannte Lehrer für das SlowSex-„MakingLove Paar-Retreat“ nach Diana Richardson, das sich mit Achtsamkeit und Bewusstheit im Kontext der Sexualität beschäftigt. Als Paar unterstützt sie mit Christian Schumacher andere Paare auf ihrem Weg in ein achtsames sexuelles Miteinander.
Christian Schumacher
ist ausgebildet in der Gewaltfreien Kommunikation und Heilpraktiker der Psychotherapie. Gemeinsam mit Hella Suderow leitet er seit Jahren Seminare für Paare und sie sind anerkannte Lehrer für das SlowSex-„MakingLove Paar-Retreat“ nach Diana Richardson, das sich mit Achtsamkeit und Bewusstheit im Kontext der Sexualität beschäftigt. Als Paar unterstützt er mit Hella Suderow andere Paare auf ihrem Weg in ein achtsames sexuelles Miteinander.
Eine Antwort
[…] Unsicherheit, Sorgen und viele Fragen, gerade auch bei den nahestehenden Personen: Was braucht mein Partner, mein Kind, meine Mutter jetzt von mir? Was kann ich tun, was kann ich falsch […]