Seit vielen Jahren begleitet Prof. Dr. Thilo Hinterberger, Leiter des Forschungsbereichs Angewandte Bewusstseinswissenschaften am Universitätsklinikum Regensburg, die therapeutische Arbeit der Heiligenfeld Kliniken wissenschaftlich. In seinem Gastbeitrag beleuchtet er, wie Bewusstsein, Klang und achtsame Selbsterfahrung die psychische Gesundheit stärken können – und wie sich diese Ansätze auch in seinen Forschungs- und Erlebnis-Retreats praktisch erleben lassen.
Von Prof. Dr. Thilo Hinterberger
Leiter des Forschungsbereichs Angewandte Bewusstseinswissenschaften in der Abteilung für Psychosomatische Medizin am Universitätsklinikum Regensburg
Vom Wert des Bewusstseins
Zwischen Idealbild und Alltag
Bewusstsein ist zu einem Modewort geworden. Es taucht vielfach dort auf, wo es um eine innerlich befreite Lebenshaltung und ein selbstwirksam gestaltetes Leben geht. Um einen Geist, der sich selbstsicher, klar und positiv gestimmt in dieser Welt bewegt. Darum, über die eigenen Grenzen hinauszudenken und sich dem Wohl der Gesellschaft, der Umwelt und des gesamten Planeten in seinen vielschichtigen Aspekten anzunehmen.
Diese positive Attribution zeichnet damit gewissermaßen ein Idealbild einer gesunden Lebensweise. So könnte das Bewusstsein leicht zu einem Sammelbegriff des Guten, des Sinnvollen, des Heilsamen werden – inmitten einer wirren und chaotischen Welt. Einer Welt, die sich in gefährlicher Weise zwischen Extremen bewegt – von einerseits engstirnigen machtpolitischen Trieben und andererseits unkontrollierten rasanten hochtechnologischen Fortschritten – und von deren unabsehbaren Entwicklungen bedroht ist.
Doch Bewusstsein ist auch etwas ganz Alltägliches. Eine manchmal unscheinbare Gegenwärtigkeit, deren Schönheit und inneres Leuchten aus einer stillen und bescheidenen Dankbarkeit kommt. Und aus der Annahme des Lebens, auch wenn es noch so unvollkommen scheint. So ist Bewusstsein das Geschenk der Anteilnahme am Leben für jeden einzelnen Menschen. Und dieses Geschenk vollzieht sich nicht erst in einer hochentwickelten geistigen Gehirnakrobatik, sondern meist sogar vor allem im schlichten Sein.
Die Kunst des Nichtstuns
So können wir aus den wissenschaftlichen Studien mit Meditierenden zum Ergebnis kommen, dass der Gewinn der Meditation mit der Kunst des bewussten Nichttuns von ansonsten gut automatisierten Gehirnfunktionen zu tun hat. Das sind jene quasi mechanisch ablaufenden Gedankenschleifen, die unsere Aufmerksamkeit im Alltag absorbieren und damit die Freiheit, den Frieden und die gütige Annahme des Lebens mit dem Reichtum an möglichen Erfahrungen verhindern.
Ohne dem Bewusstsein damit den überhöhten Wert eines religiös anmutenden Heilsbringers zukommen zu lassen – es wird deutlich, dass im Thema Bewusstsein wesentliche Werte liegen, die die Welt dringend braucht.
Intelligenz und Bewusstsein
Was künstliche Intelligenz über den Menschen verrät
Gerade heute erkennen wir, dass die Intelligenz, die wir Menschen im Zusammenspiel mit dem Bewusstsein entwickelt haben, wesentlich für unsere Vernunft ist. Und dass diese Form von Intelligenz nun von Maschinen künstlich erzeugt werden kann, die das nicht auf Basis eines organischen Bewusstseins vollbringen. Intelligenz ist damit weder lediglich das Ergebnis von Bewusstsein, noch ist Bewusstsein einfach nur die subjektive Dimension von Intelligenz.
In den Entwicklungen des maschinellen Lernens und der künstlichen Intelligenz liegt also ein riesiges Potenzial, mehr über unser Bewusstsein zu erfahren. Es wird mehr denn je deutlich, welcher besondere Wert im menschlichen Bewusstsein liegt und wie eng unser Bewusstsein selbst mit der Würde unseres Menschseins zusammenhängt.
Der innere Raum des Erlebens
Der hohe Wert unseres Bewusstseins liegt mitunter darin, dass es unsere Verbundenheit und Anteilnahme am Leben erfahrbar macht. Und dass wir daraus in der Lage sind, unserem Leben Lebendigkeit und eine Sinnhaftigkeit zu schenken. Über diesen individuellen Bewusstseinsinnenraum werden wir zu Erlebenden eines viel größeren Bereichs der Wirklichkeit, als wir es physisch sind. Daher lohnt es sich, sorgsam mit unseren Bewusstseinsräumen umzugehen, sie zu gestalten und das Potenzial des Bewusstseins für ein gesundes, „salutogenes“ und zufriedenes Leben zu nutzen.
Bewusstseinswissenschaften und Therapieforschung
Forschung und therapeutische Praxis
Aus diesen Grundgedanken speist sich das Anliegen und die Themenvielfalt der Angewandten Bewusstseinswissenschaften. So treffen sich die Anliegen der psychosomatischen Behandlungskonzepte, der modernen Psychotherapie und die der angewandten Bewusstseinsforschung in der Frage: Welche Methoden, Interventionen oder Prozesse unterstützen uns in einem gesunden Zusammenspiel zwischen physischen, psychischen und sozialen Lebensaspekten?
In vielen psycho- und kreativtherapeutischen Methoden entdecken wir bewusstseinsverändernde Wirkungen als wesentliche Aspekte für ihre Wirksamkeit in Bezug auf die Verbesserung der Symptome. Ebenso erkennen Patientinnen und Patienten in manchen psychosomatischen Behandlungskonzepten wirksame Elemente, die generell für eine gesunde und bewusste Alltagsgestaltung hilfreich sind. Genannt seien hier Entspannungsmethoden, Meditation, Natur- und tierbegleitete Therapien, die Beschäftigung mit Tanz und Rhythmus oder auch mit Klang und Musik. Das macht deutlich, dass für die psychische Gesundheit gerade die körper-psychotherapeutischen Interventionen hoch wirksam sind und dass gerade mit körperorientierten Praktiken auf faszinierende Weise eine Bewusstseinsveränderung erreicht werden kann.
Ein aktueller Schwerpunkt in den Bewusstseinswissenschaften ist daher die Erforschung von Atemtechniken. Sie können neben ihren vitalisierenden und entspannenden Wirkungen auch bewusstseinsverändernde Wirkungen haben und unterstützend bei Depression, Angststörungen und in der Traumatherapie eingesetzt werden.
Wissenschaftliche Begleitung zur Qualitätssicherung
Eine weitere Aufgabe des Forschungsbereichs der Angewandten Bewusstseinswissenschaften liegt in der Analyse und statistischen Auswertung von diagnostischen Fragebögen, durch die die Behandlungsqualität gesichert und laufend verbessert werden soll. Auch bei neuen therapeutischen Konzepten und Interventionen werden jeweils Evaluationsfragebögen entwickelt, um die Wirksamkeit von Beginn an wissenschaftlich zu begleiten und zu untersuchen. Die Heiligenfeld Kliniken haben damit die besondere Möglichkeit, innovativ im Therapieangebot zu sein und gleichzeitig einen hohen Qualitätsstandard zu gewährleisten.
Forschung zu unseren Therapieansätzen
Die Bedeutung des Klangs für das Bewusstsein
Viele therapeutische oder auch bewusstseinstransformierende Prozesse wie Meditationen, imaginative Einheiten, Atemprozesse oder kreativ- und tanztherapeutische Interventionen lassen sich hochwirksam durch Klänge, Rhythmen und Musik begleiten – oder entwickeln gerade dadurch ihre Wirkung. Daher liegt auch in den Bewusstseinswissenschaften ein besonderer Fokus darauf, die Wirkweisen von Klang, Rhythmus und Musik zu erforschen.
So sind zum Beispiel sanfte Klänge von Klangschalen und einfachen Klanginstrumenten sehr gut geeignet, uns in die Stille zu begleiten und uns in konzeptfreie Bewusstseinsräume zu führen. Rhythmen und besondere Arten von Musik hingegen eignen sich für aktive transformierende Bewusstseinsprozesse oder zur Tranceinduktion.
Forschungs- und Erlebnis-Retreats für alle
Wissenschaft trifft Selbsterfahrung
Die befreiende und erfrischende Kraft von Klang, Musik und Rhythmus bildet daher auch in unseren Workshops, Forschungs- und Erlebnis-Retreats ein zentrales Element. Wenn wir tiefgründige Themen und neue Konzepte der Bewusstseinstransformation erarbeiten wollen, können wir über die Begleitung mit Klängen, Rhythmus und Musik auch tiefsinnige theoretische Betrachtungen in eine ganzkörperliche Verarbeitung bringen.
Daher war für mich von Anbeginn klar, dass Bewusstseinswissenschaft keine isolierte Angelegenheit innerhalb einer Universität sein soll. Stattdessen muss sie in engem Austausch mit den Anwendern unterschiedlichster Berufsgruppen stattfinden. Die Themen sollen in offenen Kreisen gemeinsam diskutiert und in ein reichhaltiges emotionales Erleben gebracht werden.
Klang und Bewusstsein
Zu den schönsten Events gehören unsere Forschungs- und Erlebnis-Retreats, die ich als Bewusstseinswissenschaftler regelmäßig gemeinsam mit dem Musiker und Rhythmusdozenten Helmut Kaiser durchführe. Sie sind für alle Interessierten offen. Hier schöpfen wir stets aus einem reichen Schatz an besonderen Instrumenten, darunter verschiedene Gongs, Trommeln, Handpan, Monochord und viele andere, die von allen Teilnehmenden gespielt werden dürfen. Auch die Frage, welche Wirkungen mit bestimmten Klängen oder Instrumenten erzeugt werden können, ist uns hier ein Anliegen. An diesen Retreats können alle interessierten Menschen teilnehmen, Vorkenntnisse sind nicht erforderlich – lediglich die Neugier am Thema und die Offenheit für eine inspirierende Zeit des gemeinsamen „Forschens“ und Erlebens. Für diese intensive Zeit des Rückzugs wählen wir auch immer einen besonderen Ort, zum Beispiel das Kloster Frauenwörth auf der Fraueninsel im Chiemsee.
Forschungs- und Erlebnis-Retreats
Fachlich geprüft durch Kerstin Hamme-Hategekimana
Kerstin Hamme-Hategekimana ist Psychologin und Kreativtherapeutin in der Parkklinik Heiligenfeld.
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